Tallinn Music Week 2021

Ein wichtiger Baustein des NLV Projektes ist die Vernetzung der Leipziger Clubs und Musikspielstätten mit anderen Regionen in Deutschland und Europa.

Mit dem Beginn der Pandemie im vorangegangenen Jahr und den daraus resultierenden Maßnahmen wurde die gesamte Livemusikbrache ausgebremst. Konzerte, Konferenzen mit Menschen aus verschiedenen Ländern schienen noch für längere Zeit aufs Eis gelegt. Auch der Ursprüngliche Termin der TMW, Ende März, fiel der Pandemie zum Opfer.

Doch bereits fünf Monate später konnte die TMW mit über 150 Künstler*innen, lebhaften Debatten, Konferenz, Plattenbörse und Ausstellungen nachgeholt werden.

Auch eine Delegation unseres Livekommbinat macht sich auf den Weg in die Hauptstadt Estlands. Trotz der niedrigen Temperaturen wurden uns direkt am Flughafen ein warmer Empfang bereitet,
während sich bereits die ganze Stadt in eine wohlige Vorfreude auf die ersten Showcase Konzerte des Abends hüllt.

Am Freitag morgen startet die Konferenz im Nordic Hotel Forum, in Zahlreichen Panels wird die Wichtigkeit der Kunst und Musikindustrie als Antrieb für Wirtschaftswachstum, Kleber für den Gesellschaftlichen Zusammenhalt und Konzept für den Live Music Sektor nach der Pandemie  erörtert.

Ein echtes Highlight war die Keynote des ehemaligen President Toomas Hendrik Ilves, der in einem unterhaltsamen Vortrag die starken Verbindungen zwischen der estnischen Geschichte und der musikalischen Tradition aufzeigte, die besonders in den Jahren der Besetzung und Fremdherrschaft eine nationale Identität erhalten konnten. Folglich erlangte Estland durch die friedliche „Singende Revolution“ von1987 bis 1991, die Unabhängigkeit von der Sowjetunion  zurück. 

Keynote von Toomas Hendrik Ilves

Die Live DMA, das europäische Netzwerk der Clubs, Livemusikspielstätten und Festivals, nutzte die TMW für eine erste Vorstandssitzung nach 18 Monaten Pandemie und war mit dem „LIVE DMA Forum“ Gastgeber einiger Panels.
Besonders aufschlussreich war die Vorstellung von ‘The Survey’, der europäischen Clubstudie. Arne Dee stellte nicht nur interessante Vergleiche und Zusammenhänge der europäischen Musikmärkte detailliert dar, auch die folgen der Corono Pandemie konnten bereits in erschreckenden Zahlen dargestellt werden.
Ein ausführlicher Blick in die HIEr zu findende Studie lohnt sich!

Mit dem Try Angel Konzept, präsentierte die Live DMA ein inspirierendes Tool zur konzeptionierung  des Aufbaus neuer Zielgruppen.

In weiteren Panels wurden Fragen eines diverseren und gerechteren europäischen Musikmarktes verhandelt, ebenso wie nach einem Ende der Pandemie Gesundheit und Sicherheit in den Fokus der Veranstaltungswirtschaft treten können.

Zum Abschluss sprachen der britische Musiker Billy Bragg und der russischen Musikjournalisten Artemy Troitsky über die Entwicklungen des Post-Sowjetischen Musikmarktes und den Einfluss der Musik auf Aktivismus und gesellschaftliche Entwicklungen. 

Nach dem Informationsüberfluss der Konferenz wurde es nun Zeit den musikalischen Teil der TMW zu entdecken und auch hier wurden unsere Erwartungen mehr als erfüllt. Zahlreiche aufregende Venues konnten wir in dieser Nacht entdecken. Wie das Kultuurikatel, ein mittlerweile als Kulturzentrum genutztes Kraftwerk, das mit seinem industriellen Charm den perfekten Rahmen für den intensiven Sound von A Place To Bury Strangers.
Der Kulturcampus Telliskivi, in einem verlassenen Industriegelände zu finden, ist ein Bilderbuchbeispiel, wie in innerstädtischen Räumen Orte für Kultur geschaffen werden können.
Besonders ins Augefällt die multiple Nutzung verschiedner Orte.
So ist das F-Hoone nicht nur eine wunderschöne Konzertlocation, sondern auch ein vorzügliches Restaurant. Ebenso wie der lokale Ableger des Stockholmer „Fotografiska“ Fotomuseums, neben den Ausstellungen Konzertsaal und Restaurant beheimatet.
In der Fotografiska gab es in dieser Nacht estnische Jazz klänge zu geniessen, während im F-Hoone Music Made in Canada präsentiert wurde und damit der internationale Eindruck des Festivals und der Stadt unterstrichen wurde.

Der Erinevate Tubade Klubi – Club der verschiedenen Räume, empfängt seine Gäste im obersten Stockwerk eines Fabrikgebäudes. Der Zutritt ist hier nur in gemütlichen Pantoffeln erlaubt, die man an der Garderobe im Eingangsbereich erhält. Trotz der größe des Clubs , breitet sich hier sofort ein gemütliches Wohnzimmerfeeling aus. Musikalisch steht baltische Folk Musik auf dem Programm, die von Toomas Hendrik Ilves beschriebene Verwurzelung in Traditioneller Musik wird hier förmlich spürbar.
In der Sveta Bar erleben wir ein Showcase des BlowUp Festivals aus Finland, psychedelic, avant-garde, noise und doom metal stehen auf dem Program, in einer weiteren phantastischen Location, die so auch an der Themse zu finden sein könnte.

Neben an im neueröffneten D3 gibt es mit House Darling Gerd Janson ein vertrautes Gesicht in der DJ Booth zu erleben. Im Anschluss machen wir noch einen kurzen Ausflug in die estnische Technoinstitution – den Club Hall, bevor nach einer kurzen Nacht der nächste Konferenztag auf uns wartet.


Am nächsten Morgen merkt man den zunächst spärlich besetzten Reihen in den morgendlichen Panels, die Nebenwirkungen eines aufregend kuratierten Musikfestivals an.
Aber auch die Konferenz glänzt an diesem Tag mit spannendem Programm.
Wir lernen den HEMI Music Hub kennen der Musikmärkte in Zentral und Südosteuropa vernetzt und erfahren einiges über Nachhaltige Musikevents aus der Praxis vom finnischen Flow Festival und dem Kulturzentrum WORM aus Rotterdam.

Danach geht es zum leckeren Brunch in den Club Hall, zwischen Kaffee, Snacks und Pizza, aus der dem Club angeschlossenen Pizzaria, lassen sich hier spannende Kontakte knüpfen.
Dann geht es weiter mit Night and Nurture, einem Panel dass mit einer Diskussion von Szeneaktivisten, Politiker*innen einen tiefen Einblick in die Situation der lokalen Spielstätten gibt. Lutz Leichsenring von der Berliner Clubcommision und der Initative VibeLab gibt dazu Anregungen aus einer internationalen Perspektive.
Das anschließende Panel „Dirty Years of Dancing – from post-soviet to fluid future“ verhandelt sehr intensiv die Entwicklungen der Clubszene nach der Perestroika und zeigt die bis heute bestehenden Spannungen zwischen Esten und der russischsprachigen Minderheit im Land auf, zeigt aber auch die integrative Kraft der Musik.
Im weiteren Verlauf des Nachmittags bietet der Club Hall einen legeren Rahmen zur Vernetzung mit spannenden Menschen aus ganz Europa. So treffen wir Musikjournalisten aus Lettland, Clubbetreiber aus Litauen, Politikerinnen aus Finnland, russische Musiker und die Betreiberin des Club Hall, mit der es sicher noch eine Nachhaltigere Vernetzung geben wird.

Das Festivalpragramm der Nacht ist wieder zu Umfangreich um alles zu erwähnen, deshalb hier nur ein zwei Highlights. OOPUS mit einer Musical ähnlichen Performance aus Techno, Science Fiction und Dudelsackbeats wird noch nachhaltig in unserem Gedächtnisbleiben. Der Club Hall hat in dieser Nacht DVS1 zu Gast und ist mit seinen zwei Floors und verwinkelten Nebenräumen, in einer alten Industriehalle,  das Idealbild eines Technoclubs.

Am Sonntag genießen wir noch ein letztes Mal das Flair der Stadt und besuchen das KUMU Art Museum mit der zur Konferenz passenden Ausstellung „Up All Night: Looking Closely at Rave Culture „.

Die Tallinn Music Week bot uns ein inspirierendes Wochenende, welches unsere Erwartungen bei weitem übertroffen hat und verzauberte uns mit einem flair welches am Rande Europas Vernetzung und Internationalität vorlebt.

weitere Infos: https://tmw.ee




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